KI-Unterstützung wird erstmals vergütet

Rund 1,4 Millionen Thorax-CTs, rund 500 Millionen Bilder, die ausgewertet werden müssen – auf der anderen Seite kaum Zuwachs bei den Radiologen, nur eine stark steigende Arbeitsbelastung. KI kann helfen – und wird nun erstmals vergütet.

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In Deutschland werden jährlich rund 1,4 Millionen Thorax-CTs aufgenommen. Die daraus entstehenden rund 500 Millionen Bilder müssen analysiert und ausgewertet werden. Während die Bilddatenmenge exponentiell ansteigt, gibt es unter den Radiologen jedoch kaum Zuwächse, was zu einer immens steigenden Arbeitslast führt. Vor diesem Hintergrund wird die schnelle und gleichzeitig genaue Befundung der Bilddaten zu einer immer größeren Herausforderung – mit potenziell negativen Konsequenzen für Betroffene und das Gesundheitssystem.

Beispiel: Lungenkrebsdiagnostik

Voraussetzung für eine gute Versorgung von Lungenkrebspatienten ist die frühzeitige Diagnosestellung. Wie bei anderen Krebsarten auch, ist das Erkrankungsstadium zu Therapiebeginn ein wesentlicher Bestimmungsfaktor des Therapieerfolgs. Wird die Erkrankung erst in fortgeschrittenen Stadien erkannt, sind die Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Prognose verschlechtert sich erheblich. Umgekehrt kann es zu Beginn des Diagnoseprozesses zu Verdachtsfällen kommen, die sich später als falsch erweisen. In der Zwischenzeit durchlaufen Betroffene einen eventuell vermeidbaren Diagnose-Marathon und sind einer massiven mentalen und körperlichen Belastung ausgesetzt. Der Einsatz von KI-Systemen kann hier Abhilfe schaffen, da sie prädestiniert für die Erkennung von Mustern beziehungsweise auffälligen Strukturen in den unterschiedlichsten Datenquellen sind – beispielsweise in diagnostischen Bilddaten, wie sie im Rahmen der Lungenkrebsdiagnostik mittels Thorax-CT erhoben werden.

Die KI-gestützte contextflow-Software hilft Radiologen bei der Analyse relevanter Bildmuster und ermöglicht so eine schnellere und genauere Auswertung. Konkret ermöglicht die Technologie eine explorative Untersuchung auf eine Vielzahl möglicher Indikationen, eine automatisierte Vermessung von Lungenherden, eine standardisierte Erfassung zusätzlicher Biomarker, eine teilautomatisierte leitlinienbasierte Befundung, ein Monitoring potenzieller Veränderungen im Zeitverlauf sowie ein Malignitäts-Scoring zur Risikoquantifizierung verdächtiger Lungenherde per Berechnung eines Malignancy Similarity Index (mSI) für die aktuelle CT-Aufnahme im Abgleich mit bereits gesichert klassifizierten CT-Bildern aus einer Referenzdatenbank. Die Software ist nahtlos in die gängige radiologische Softwareumgebung integrierbar. Die Resultate stehen wenige Minuten nach der Erstellung einer Thorax-CT zur Verfügung.

Win-Win-Situation für alle Beteiligten

Speziell für Lungenkrebs haben einschlägige Studien bereits gezeigt, dass bei Anwendung der KI-Technologie unnötige Folgeprozeduren vermieden werden und die Krankheit schneller und präziser diagnostiziert werden kann. Der mSI liefert ähnlich genaue Ergebnisse wie bestehende Modelle zur Risikoklassifizierung. Im Vergleich zu Lung-RADS verbessert die Technologie die Risikoklassifizierung deutlich (in unterschiedlichen Kohorten gemessene Sensitivitätssteigerungen von 25-117 Prozent sowie Spezifitätssteigerungen von 17-33 Prozent; Adams, Scott J et al., JACR September 2022)[1]. Radiologen benötigen beim Lesen von Thorax-CTs mit der Technologie 30 Prozent weniger Zeit und dies, obwohl sie in 25 Prozent mehr Fällen online Referenzen einsehen (Röhrich, S et al. European Radiology July 2022)[2]. Zudem sorgt die Technologie für weniger Streuung zwischen Radiologen.

Die IKK Südwest hat dieses Potenzial frühzeitig erkannt und daher eine Vergütungsvereinbarung mit contextflow und der Xcare Gruppe, einem Zusammenschluss radiologischer Versorger im Saarland, geschlossen – laut Angaben des Versicherers europaweit die erste Vergütungsvereinbarung dieser Art. Die Krankenkasse entdeckte die contextflow-Technologie im Rahmen des Healthy Hub, einem kassenübergreifenden Format der BIG direkt gesund, der IKK Südwest, der mhplus Krankenkasse und der SBK Siemens-Betriebskrankenkasse zur Förderung des Zugangs vielversprechender Innovationen zur GKV. Im Ergebnis profitieren Patienten von einer schnelleren und präziseren Diagnostik, Radiologen werden in ihrem Arbeitsalltag entlastet und Krankenkassen bringen ihr gleichzeitiges Streben nach mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut – so zumindest das erklärte Ziel dieser demnächst startenden besonderen Versorgung nach § 140a SGB V, die beitrittsoffen für weitere ambulante radiologische Versorger ist.

[1] https://www.jacr.org/article/S1546-1440(22)00630-5/fulltext
[2] https://link.springer.com/article/10.1007/s00330-022-08973-3#citeas

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